Hofbauer, Gottfried (2019):Fossilien aus Erlanger Sammlung stützen eine neue Interpretation der Entwicklung zum Menschen - www.gdgh.de/Berichte/b19 (28. Juli 2019).
Fossilien aus Erlanger Sammlung stützen eine neue Interpretation der Entwicklung zum Menschen
Gottfried Hofbauer, Erlangen (D/Germany)
Abb. 1 - Madelaine Böhme bei ihrem Abendvortrag am 25. Juli in der Naturhistorischen Gesellschaft. Modelle der Original-Objekte wurden "zum Anfassen" mit einem 3D-Drucker erstellt.
Abb. 2 - Modell des Unterkiefers von Graecopithecus in Originalgröße. Der Träger dieses Gebisses dürfte gerade eine Körpergröße von 1 Meter erreicht haben.
In den Jahren 1940-44 von Bruno von Freyberg in Griechenland geborgene Fossilien befinden sich heute zum einen in Erlangen
(ein Unterkiefer im GeoZentrum Nordbayern der Universität), zum anderen auch als langfristige Leihgabe in der Sammlung der Naturhistorischen
Gesellschaft (NHG) Nürnberg (Säugetier-Fauna).
Am Donnerstag, 26. Juni, berichtete Frau Böhme
in einem Abendvortrag der NHG über die diese Funde und ihre Neu-Interpretation. Das Thema hat weltweit Aufmerksamkeit gefunden
und natürlich auch Kontroversen ausgelöst. Der Besuch Böhmes in Franken wurde von einem Filmteam begleitet, das dieses Thema
in einer längeren Dokumentation für ARTE aufbereitet. Am Freitag, 27. Juni, wurden dabei auch Aufnahmen in der Geologie-Sammlung
der NHG gemacht. Zudem ist noch für diesen Herbst eine erste zusammenfassende populärwissenschaftliche Buchveröffentlichung in
Arbeit (Böhme, Braun, Breier & Gibler 2019).
Nach dem überraschenden Fund eines Zahnes mit für die menschliche Entwicklungslinie charakteristischer Form
in Bulgarien hat Madelaine Böhme (Univ. Tübingen) sich an Berichte über
von Freybergs griechische Funde erinnert und diese in Erlangen und Nürnberg aufgespürt. Von Freyberg selbst hatte
den Unterkiefer in die Verwandschaft der Meerkatzen gestellt (Mesopithecus), später (1972) hat G.H.R. von Koenigswald
ihn in Beziehung zu den Menschenaffen gerückt (Graecopithecus freybergi). Unterstützt durch röntgenographische Methoden,
die in dem Unterkiefer auch die Gestalt der Zahnwurzeln erkennbar machte, stellt Madelaine Böhme diesen Fund nun -
zusammen mit dem bulgarischen Zahnfund - in die frühe Hominidenreihe (Böhme et al. 2017, Fuss, Böhme et al. 2017)
Die in Nürnberg aufbewahrte Säugetierefauna ermöglichte die Rekonstruktion der damaligen Umweltverhältnisse wie eine
Datierung in die Zeit vor ca. 7,2 Millionen Jahren. Die vermutlich gerade 1 Meter Körpergröße erreichenden mutmaßlichen Vormenschen
lebten zusammen mit Nashörnern, Antilopen und Giraffen in einer trockenen Savanne. Diese Zeugnisse der frühen Menschengeschichte
sind deutlich älter als die bisher aus Afrika bekannten. Zusammen mit einem unlängst auf Kreta gefundenen Fussabdruck eins
aufrecht gehenden Zweibeiners (Alter 5,7 Millionen Jahre) gibt es somit gewichtige Hinweise, dass die frühe Entwicklung der Hominiden möglicherweise nicht - wie bisher im allgemeinen angenommen - in Afrika, sondern in den - heute nicht mehr existierenden - Savannen Südosteuropas erfolgte.
Diese Neu-Interpretation wird mit der nun auch viel auch präziser rekonstruierbaren Entwicklung der Klimageschichte verknüpft.
Die Wirbeltier-Fossilien sind in vom Wind abgelagerten Staub eingebettet, der sich aus der damals entstehenden Wüste in der
Sahara herleiten lässt. Mit der Entstehung der Sahara könnte, so Böhme, eine Trennung der afrikanischen und südosteuropäischen
Lebensbereiche eingeleitet worden sein, in deren Folge wesentliche frühe Entwicklungsschritte des voneinander getrennt erfolgten.
LITERATUR
Freyberg, B. v. (1951): Die Pikermi-Fauna von Tour la Reine (Attica). In: Annales géologiques des Pays Helléniques. Serie 1, Band 3, 1951, S. 7-10.
Koenigswald, G. H. R. v. (1972): Ein Unterkiefer eines fossilen Hominoiden aus dem Unterpliozän Griechenlands. In: Proceedings of the Koninklijke
Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Series B. Band 75, 1972, S. 385-394.
Madelaine Böhme, Nikolai Spassov, Martin Ebner, Denis Geraads, Latinka Hristova, Uwe Kirscher, Sabine Kötter, Ulf Linnemann,
Jérôme Prieto, Socrates Roussiakis, George Theodorou, Gregor Uhlig, Michael Winklhofer (2017): Messinian age and savannah environment
of the possible hominin Graecopithecus from Europe. In: PLOS ONE, Jg. 12, Nr. 5. doi:10.1371/journal.pone.0177347, ISSN 1932-6203.
Jochen Fuss, Nikolai Spassov, David R. Begun, Madelaine Böhme: Potential hominin affinities of Graecopithecus from the Late Miocene of Europe.
In: PLOS ONE, Jg. 12, Nr. 5. doi:10.1371/journal.pone.0177127, ISSN 1932-6203.
Böhme M., Braun R. & F. Breier (2019): Wie wir Menschen wurden: Eine kriminalistische Spuerensuche nach den Ursprüngen der Menschheit. - München (Heyne).
Abb. 3 - Die Wirbeltier-Fossilien aus der Trocken-Savanne, der Umwelt des Graecopithecus. Diese Fossiien waren bis zur Bearbeitung durch Böhme unpräpariert gewesen. Anhaftendes Sediment wurde ebenfalls wissenschaftlich ausgewertet.
Abb. 4 - Frau Böhme, Mitglieder des Filmteams und NHG-Pfleger Jürgen Höflinger am Eingang zu den Sammlungsräumen in der Kongresshalle Nürnberg.
Abb. 5 - Frau Böhme und das Filmteam an den Sammlungsschränken.
Abb. 6 - Die Anfrage von Frau Böhme zu den Fossilien konnte rasch beantwortet werden. Mit der Übernahme der Sammlung im Jahr 2010 wurde vom Autor erstmals eine Kurz-Inventarisierung vorgenommen, die das Auffinden der Objekte mit einem Blick in die Datenbank ermöglichte.