Hofbauer, Gottfried (2005): Alfred Wegener - Driftenden Kontinente und unbewegliche Geologen - www.gdgh.de/Berichte/b09 (15.November 2005).

Alfred Wegener - Driftenden Kontinente und unbewegliche Geologen
Gottfried Hofbauer, Erlangen (D/Germany)
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Kurzfassung
Der Aufsatz über Alfred Wegener und die Geologen ist die Ausarbeitung eines Vortrages am Bildungszentrum Nürnberg am 11.11. 1999. Er war Teil der Reihe Leitfossilien des Naturwissenschaftlichen Denkens II, die vom Bildungszentrum Nürnberg in Kooperation mit dem Philosophischen Institut der Universität Erlangen Nürnberg veranstaltet wurde.

Alfred Wegener (1880-1930) hat erstmals im Jahr 1912 seine Hypothese zur Drift der Kontinente dargestellt. In den folgenden Jahren wurde, unterstützt durch wiederholte Auflagen seines Buches "Die Entstehung der Ozeane und Kontinente", diese Hypothese weiter nachhaltig gegenüber den Geologen wie auch der Öffentlichkeit verfochten. Mit dem Tod Wegeners 1930 und den bis zum Weltkrieg führenden politischen Wirren geriet diese Diskussion in den Hintergrund, um danach nicht wieder aufgenommen zu werden.

Als in der Zeit um 1960 die Theorie der Plattentektonik Gestalt anzunehmen begann, geschah dies nicht in Fortsetzung der Argumentation aus der Wegener-Kontroverse, sondern aus völlig anderen Perspektiven. Wegener wurde nun als ein früher Visionär dieser mobilistischen Tektonik wiederentdeckt und auf den Sockel gehoben.

Versucht man zu verstehen, warum Wegener zu Lebzeiten überwiegend Ablehung erfuhr, dann muß man mehrere Aspekte unter die Lupe nehmen: die Argumente und den Argumentationsstil Wegeners; die Arbeitsweise und soziale Struktur der Geologen im internationalen wie nationalen Kontext; die Vorstellungen zur globalen Tektonik in der damaligen Geologie und die Bedeutung, die diese für die normale Praxis der Geologen hatten.

Naomi Oreskes hat in The rejection of continental drift: theory and method in American earth science" (New York und Oxford 1999) eine fundamentale Analyse der Debatten um Wegener und der Ablehnung in den USA vorgelegt. Demnach war dort ein wesentlicher Grund für die Zurückweisung seiner Ideen, daß die amerikanischen Geologen Wegeners Fixierung auf diese eine Hypothese als schlechten wissenschaftlichen Stil empfanden: aus ihrer Sicht hätte er mehrere Hypothesen präsentieren und nach Lage der empirischen Verhältnisse unvoreingenommen für diese oder jene plädieren müssen.

Untersucht man nun - über Oreskes hinausgehend - die Verhältnisse in Deutschland, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß hier andere Bedingungen galten, wobei insbesondere das Ansehen von "Theorie" an sich so schlecht war, dass ein Entwurf in der Dimension von Wegeners Kontinentaldrift deutlich jenseits dessen zielte, was die deutschen Geologen an Reichweite zu akzeptieren bereit waren. Die Analyse der Diskussion um Wegener legt so die Denk- und Handlungsmuster der deutschen Geologen frei - die Gründe für die Ablehung Wegeners erscheinen nicht nur in der verkürzten Form der folgenden Auflistung als drastisch:

Die Geologie in Deutschland hatte zu Theorien an sich eine sehr skeptische, ja gar feindliche Einstellung. Die Gründe für die in diesem Maß in anderen Ländern nicht erkennbare Skepsis liegen in der spezifischen deutschen Disziplingeschichte: Sie reicht über die Auseinandersetzung mit der romantischen Naturphilosophie (frühes 19. Jahrhundert) zurück bis Abraham Gottlob Werners Konzept einer angeblich theoriefreien "Geognosie" im ausgehenden 18. Jahrhundert.

Die Geologie konnte- und das nicht nur in Deutschland, sondern allgemein - ihre Arbeit gut ohne eine globale tektonische Theorie verrichten. "Theorien" dieser Reichweite standen ausserhalb der üblichen wissenschaftlichen Argumentationsgefüge und hatten lediglich die Funktion, als "Bilder" einen gelegentlichen Vorstellungsrahmen zu illustrieren. Die zur Zeit Wegeners vorherrschende " Kontraktionstheorie" waren nur ein solches Bild und damit sogar in geringerem Maß empirischen Tests zugänglich als Wegeners Hypothese. Letztere war aus moderner wissenschaftstheoretischer Sicht durchaus eine "gute", da empirisch diskutable These. Die deutschen Geologen hatten aber kein Interesse an solchen Tests - man stellte die Hypothese gleich zu den anderen "Bildern", wo sie gleichsam in musealer Unantastbarkeit der Alltagspraxis entrückt waren.

Das Selbstverständnis der deutsche Geologie ruhte in einer spezifischen empirischen Praxis, aus der heraus ein Umgang mit einer globalen Hypothese wie der Wegeners gar nicht möglich war. Der Ethos des Feldgeologen, der mit einfachen Werkzeugen in der freien Natur die Ordnung der Gesteine herausarbeitet, war nicht mit dem Ansatz Wegeners vereinbar.

Ein Hindernis war nicht nur, daß Wegner diesen Grunderfahrung geologischer Arbeit nicht nachweisen konnte, sondern dass die ernsthafte Auseinandersetzung mit seiner Hypothese diese fundamentale geologische Praxis dezentralisiert hätte: Diese Auseinandersetzung war nicht mit den traditionellen feldgeologischen Methoden zu entscheiden, und - noch viel schlimmer - die Akzeptanz der Kontinentaldrift hätte nicht nur das theoretische Gefüge der Geologe, sondern eben auch ihre auf diese tradionellen Methoden gegründete Identität in Frage gestellt. Wegener konnte so von den deutschen Geologen nicht als Heilsbringer gesehen werden, sondern eher als Bedrohung.