Hofbauer, Gottfried (2005): Max Sempers fehlgeschlagener Versuch, Geologiegeschichtsforschung als historische Epistemologie zu begründen - www.gdgh.de/Berichte/b08 (15.November 2005).

Max Sempers fehlgeschlagener Versuch, Geologiegeschichtsforschung als historische Epistemologie zu begründen
Gottfried Hofbauer, Erlangen (D/Germany)
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Kurzfassung
Der Aufsatz geht auf einen Vortrag bei der wissenschaftsgeschichtlichen Tagung in Berlin im Jahr 1996 zurück. Die ausgearbeitete Fassung sollte anschließend in einem Sammelband veröffentlich werden, der dann aber doch nicht zustande kam. Der Text wird hier nun ohne weitere inhaltliche Veränderung zugänglich gemacht.

In "die geologischen Studien Goethes" (1914) präsentiert Max Semper (1870-1952) eine tiefschürfende erkenntnistheoretische Analyse der geologischen Forschung und ihrer Geschichte. Das Buch ist voller Kritik für vorangehende Arbeiten zur Geschichte der Geologie - in seinen Augen handelt es sich dabei nur um Chronologien, die keinerlei Einsichten in die Prinzipen geologischer Forschung aufweisen. Die erkenntnistheoretischen und sozialen Züge der wissenschaftlichen Entwicklung in Rechnung stellend, lehnt Semper die Möglichkeit letztgültiger Wahrheiten ab, wobei er gleichzeitig die Bedeutung von Hypothesen als wesentliches Element des Forschungsprozesses hervorhebt.

Die kritische Haltung Sempers steht im Einklang mit einer tiefen Skepsis für die Zukunft der Geologie. Angesichts grundlegender Probleme in Klimageschichte, Evolutionstheorie und globaler Tektonik, erwartet er für viele Jahre oder gar Dekaden keine Lösung. Im Vergleich zu den optimistischen geologiegeschichtlichen Darstellungen von Geikie (1897) und von Zittel (1899), ist dies eine auffällige Wendung.

Dieser wesentliche Wandel in der Beurteilung des Fortschitts der Geologie ist offenbar von einer Generation zur anderen eingetreten - wobei von Zittel auch noch ein Lehrer von Semper war. Während die ältere Generation auf eine erfüllte und erfolgreiche Vergangenheit zurückblickt, in der der Umfang an deskriptivem Wissen ständig anwuchs, steht die jüngere vor einem Erbe voller komplexer Probleme. Sempers Fortschritts-Skepsis ist zu einem großen Teil repräsentativ für seine Generation - diese am Beginn des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts sichtbar werdende Wende von einer optimistischen zu einer pessimistischen Geologie scheint eine der wesentlichsten Veränderungen in der Geschichte der deutschen Geologie zu sein.

Sempers kritische Epistemologie wurzelte tief in der skeptischen Stimmung seiner Zeit. Mit schwierigen Fragen konfrontiert, brachten Geologen zahlreiche spekulative Hypothesen vor, die nicht selten von erkenntnistheoretischen Argumenten begleitet wurden. Diese erkenntnistheoretischen Beigaben hatten aber oft nur die Funktion, den Mangel an brauchbaren Sachaussagen zu kompensieren. Unter diesen Umständen erscheint die Epistemologie eher als Zeichen der Krise denn als Werkzeug zur Analyse der Wissenschaft in Gegenwart und Geschichte.

Semper hat in seiner Polemik gegen Wegeners Kontinentaldrift auf erkenntnistheoretische Argumente zurückgegriffen, um seinen Gegner mit ihrer Hilfe aus der Wissenschaftler-Gemeinde auszuschließen. Er hat damit selbst viel dazu beigetragen, die Rolle der Erkenntniskritik auch wieder in Diskredit zu bringen. Sein Werk über Die geologischen Studien Goethes fand keine Nachfolge, weder durch ihn selbst, noch durch andere - und so scheint der Sinn historisch-erkenntniskritischer Analyse unter den Geologen noch immer nicht gesehen zu werden.